Aufgewecktes Kind oder krank?

Pädiater beklagen Therapiewünsche ohne medizinischen GrundDisput zwischen Logopäden und Kinderärzten.

24.08.2010

Ergotherapeuten und Logopäden erfüllten oftmals eher einen pädagogisch-sozialen als einen medizinischen Auftrag. Einmal jährlich, zur Vorstellung des Heil- und Hilfsmittel-Reports zweifelt der frühere GEK-Vorsitzende und heutige Vize-Chef der BEK/GEK, Rolf-Ulrich Schlenker, an der Zuständigkeit der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) für manch eine kindliche Störung. Die Brisanz der Reports, über die wir hier regelmäßig berichteten, wurde in den Berufsverbänden kaum gewürdigt. Gleichwohl entfalten die im Auftrag der Ersatzkasse vom Bremer Zentrum für Sozialpolitik zusammengetragenen und ausgewerteten Daten nicht unerhebliche Wirkungen. Kürzlich beklagte der Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte, Wolfram Hartmann, in einem Interview mit der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ den Missbrauch der GKV zu pädagogischen Zwecken.

Zu viele Logopäden und Ergotherapeuten würden Patienten rekrutieren, ohne dass es einen medizinisch begründbaren Bedarf gebe, kritisierte der Pädiater. Häufig findet die Pathologisierung der Kinder in Schulen und Kindergärten statt, wo Erzieher und Lehrer entsprechende therapeutische Angebote dankbar aufgreifen. So haben sie die Last der Störenfriede für eine Weile los. Mäßig deutsch sprechende ausländische Kinder würden den Kinderärzten mit dem Wunsch nach einer logopädischen Therapie vorgestellt. „Das hat aber nichts mit Medizin zu tun“, sagte der Verbandspräsident. „Da gibt es derzeit ein unkontrolliertes Überangebot.“

Monika Rausch, Präsidentin des Deutschen Bundesverbandes für Logopädie (dbl), wollte die Kritik ihres präsidialen Kollegen nicht hinnehmen. Er müsse doch wissen, dass Logopäden nur dann behandeln dürfen, wenn eine ärztliche Verordnung vorliege, tadelte die Logopädin in einem Brief an den Kinderarztchef. Mit seiner Einschätzung zur Sprachförderung von Ausländerkindern bewege er sich nicht auf dem aktuellen Stand der Forschung, kritisierte Rausch den Kassenarzt.

Nach Angaben des dbl hat Wolfram Hartmann inzwischen geantwortet, seine kritischen Anmerkungen bekräftigt und noch einmal auf den Druck verwiesen, dem Kinderärzte ausgesetzt sind, wenn sie sich mit Verordnungswünschen konfrontiert sehen.

Etwa zwei Drittel der ergotherapeutischen und logopädischen Patienten sind nicht älter als 14 Jahre. Da kann ein gedeihliches Miteinander Therapeuten und Pädiatern nicht schaden.

Peter Appuhn, physio.de

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